Montag, 29. Dezember 2008
Die liegende Freundin



Die Statue "Große Liegende" stammt von Henry Moore aus dem Jahre 1957. Ein Abguß steht vor der Neuen Pinakothek in München (s.o.), ein weiterer posiert vor der Neuen Staatsgalerie Stuttgart.

Dort schloß ich erste Bekanntschaft mit ihr. Mit einem Freund ging ich in einer lauen Sommernacht durch den Schneckengang der Staatsgalerie. Vor der letzten Biegung, noch bevor ich sie sehen konnte, verband er mir die Augen und führte mich zu ihr. Dann legte er meine Hand auf ihren Arm. Ich fühlte die kalte, metallene Oberfläche mit ihrer holzähnlichen Struktur. Was ich zunächst für Erosionsfolgen hielt, ist die von Moore beabsichtigte Assoziation zur Natur. Dieses Erfassen wurde für mich zu einem Ritual, dem ich in Folge Freunde und Bekannte, gelegentlich auch einen neuen Liebhaber unterzog.

Als ich nach München kam, entdeckte ich meine alte Freundin zufällig beim Vorbeifahren auf der Theresienstraße. Seitdem besuche ich sie öfter, meist abends, wenn die Autos nur noch scheinwerferkegelweit wahrnehmen und ich dort außer vereinzelten Hundehaltern niemandem begegne. Zur Begrüßung lege ich ganz vorsichtig meine Hand auf ihren Arm und berichte dann von meinem Alltag, meinen Sorgen und dem, was ich anderen nicht erzählen würde. Und immer hört sie mir geduldig zu.

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